Eine Affäre muss nicht immer gleich Abenteuer und Herzschmerz bedeuten. Ich habe mit einer Mama gesprochen, die eine sehr wichtige Erfahrung teilt, die kein Tabu sein sollte.
Seit ich Kinder habe, werde ich ununterbrochen angefasst. Am Bein, am Arm, an der Hand, an den Haaren, am Hintern, am Bauch, an den Hupen, im Gesicht und am Zahnfleisch. Wenn ich abends endlich mal kinderlos auf der Couch liege, will ich den Tag mit George Clooney ausklingen lassen, denn der lächelt in der Glotze auf drei Meter Abstand.
Jedes Mal, wenn mein Mann sich nach so einem besonders intensiven Kinder-Tatsch-Tag scheinbar unauffällig in meinen 30-Zentimeter-Radius bewegt, singt mein drohender Gesichtsausdruck MC-Hammer-like „You can‘t touch this“. Und dann, nach einem kurzen Seufzen, küsst mein Mann leidenschaftlich seine Bierflasche.
Ich kann gut damit leben, dass er seine Romantik mit Mühlenkölsch auslebt. Andere suchen in solchen und anderen Phasen den zwischenmenschlichen Ausgleich mit einer Person, die nicht der eigene Partner ist. Meistens sind es dabei die Familienväter, denen man ein außereheliches Tête-à-Tête nachsagt. Denn die Mutti ist, so wie ich zurzeit, schwer busy mit den Kids.
Selbstverständlich kann Mutti aber auch ganz anders. Ich unterstelle einfach mal, dass es genügend Frauen gibt, die umgekehrt in ihrer Ehe das Feuer und Leidenschaft vermissen. Ich habe mit einer Mama gesprochen, die eine Affäre hat und anonym bleiben will. Für sie und ihre Ehe ist es das Beste, was passieren konnte:
Von allen Fragen, die mir unter den Nägeln brennen: Wo nimmst du als Mama die Zeit her?
Man muss sich schon organisieren. Aber das ist ja bei allem so. Letztendlich läuft es hier so, wie wenn andere Mamas ihren Hobbys nachgehen. Auch ich bin abends öfter mal verabredet. Andere gehen regelmäßig zum Yoga oder ins Kino, ich bin eben "verabredet".
Warum triffst du dich mit anderen Männern?
Weil ich einen Mann geheiratet habe, der mit Sexualität gar nichts anfangen kann. Leider. Es hat lange gedauert, bis ich das begriffen habe. Selbst in der ersten Verliebtheit hat es nicht gut zwischen uns funktioniert. Lange dachte ich, ich muss ihn nur an die Hand nehmen, ihn mit ziehen, dann wird die Begeisterung schon kommen. Viele Jahre später weiß ich jetzt: sie kommt nicht. Sein Bedürfnis ist eben anders als meins. Es gehört zur "Sexpositivity" dazu, auch keinen Sex haben zu wollen. Blöd, dass es da ausgerechnet mich getroffen hat.
Wie bist du damals damit umgegangen?
Ich habe mich ihm lange angepasst und enthaltsam gelebt, ohne es zu merken. Als Mama mit kleinen Kindern steht man selber oft nicht mehr an der ersten Stelle, und so ist, ganz still und leise, die Frau in mir verschwunden und es existierte nur noch die Mama. Ich war mir selber völlig egal geworden. Das ging viele Jahre gut.
Und dann?
Irgendwann hat mich auf einmal ein Kerl völlig unverhofft – wie in Köln natürlich ganz klassisch zu Karneval – aus meinem Dornröschenschlaf heraus wachgeküsst. Damit war auf einmal eine Tür geöffnet.
Was hat sich dadurch für dich verändert?
Es hat sich sehr viel verändert. Ich fühle mich begehrenswert und achte wieder auf mich, auf meinen Körper. Ich habe Freude daran, mich zu schminken und auf andere positiv zu wirken. Ich funktioniere nicht mehr nur, ich lebe wieder. Ich war immer ein Genussmensch, und habe jahrelang ein wichtiges Grundbedürfnis unterdrückt. Unsere Gesellschaft ist auf Monogamie ausgerichtet, unser "Beziehungsmodell" ist nicht öffentlichkeitstauglich.
"Wir gehören zur großen Menge der Menschen, die nicht lebenslang sexuelles Glück mit dem Lebenspartner gepachtet haben."
Unterscheidet sich dein Familienleben von dem einer 08/15-Family?
Ich glaube nicht. Ich habe mich viel mit anderen ausgetauscht, ein wirklich auf Dauer beglückendes Liebesleben haben die Wenigsten. Ich habe mal gelesen, dass 70% der Menschen in ihrem Leben zwei Affären haben. Also betrifft das grundsätzliche Problem unfassbar viele, sicherlich sind die Gründe individuell verschieden. Letztendlich gehören wir also zur großen Menge der Menschen, die nicht lebenslang sexuelles Glück mit dem Lebenspartner gepachtet haben. Also völlig 08/15.
Hat dich das erste Date Überwindung gekostet?
Nein, im Gegenteil. Ich war so unglaublich hungrig nach dieser Welt, die sich so lange vor mir verschlossen hatte.
Wie steht dein Mann dazu?
Er findet es nicht gut und hätte es lieber, ich würde mich ihm anpassen und ebenfalls enthaltsam leben. Ich habe ihn vor die Wahl gestellt: Entweder, wir nehmen therapeutische Hilfe in Anspruch und haben irgendwann ein gemeinsames Liebesleben. Oder wir öffnen die Beziehung. Da nach mehreren Monaten von ihm keine Entscheidung kam, außer dass wir uns nicht trennen wollen (da sind wir uns einig), habe ich dann entschieden.
Erzählst du ihm von deinen Dates?
Wenn ich verabredet bin, steht eben "Verabredung" in unserem gemeinsamen Kalender. Kurz vorher ist er dann meist etwas kurz angebunden, und ich merke, dass es ihm nicht passt. Manchmal organisiere ich es auch so, dass er es nicht mitbekommt. Aber grundsätzlich weiß er es, ja. Details erzähle ich aber keine.
Würde es dich stören, wenn er jemand anderen träfe?
Ich kann es mir kaum vorstellen, dass er auch jemanden hat. Ich würde es ihm aber sehr wünschen. Wenn ich von Leidenschaft und Hingabe spreche, habe ich immer den Eindruck, ich erzähle einem Blinden von den Farben dieser Welt. Ich würde mich freuen, wenn er das auch erleben würde. Gleiches Recht für beide!
Wissen deine Männer voneinander?
Mein Mann weiß nicht, mit wem ich mich treffe. Mein Bettprinz weiß natürlich schon von meiner Familie.
Hand aufs Herz, bist du in eine deiner Affären verliebt?
Ich habe seit längerer Zeit die gleiche, und ja, über die Jahre hat sich eine Liebe entwickelt. Auf beiden Seiten. Tatsächlich ist er der Partner geworden, der überwiegend den Teil ersetzt, den ich mit meinem Mann nicht habe. Aber er ist sehr viel mehr als nur das. Wir sind uns beide einig, dass die eigene Familie Priorität hat. Aber ich liebe ihn, ja.
"Man liebt durchaus mehrere Menschen auf verschiedene Weisen."
Haben diese Gefühle Auswirkungen auf deine Ehe?
An der Liebe zu meinem Mann hat es nichts geändert. Man liebt durchaus mehrere Menschen auf verschiedene Weisen. Den Partner, die Kinder, die Eltern. Dadurch, dass der zweite Mann plötzlich dazu kam, ist die Liebe zu meinem Ehepartner nicht weniger geworden. Der Kuchen wurde irgendwie einfach größer.
Kommt für dich eine Trennung von deinem Mann infrage?
Nein, es passt (fast) alles, und wir sind ein gutes Team. Er ist mein bester Freund und wir haben eine funktionierende Familie.
Welche Rolle spielen dabei deine Kinder?
Sie behalten ihre Familie, die nicht auseinander gerissen wird, nur weil Mama und Papa unterschiedliche Bedürfnisse haben.
Weiß dein Umfeld davon? Wie sind die Reaktionen?
Einige Menschen wissen davon, ja. Die Reaktionen sind überwiegend positiv. Meine engsten Freunde freuen sich mit mir, dass es mir damit sehr gut geht. Aber den Menschen, von denen ich weiß, dass sie grundsätzlich eine ganz andere Einstellung dazu haben, erzähle ich es eben auch nicht.
Kannst du in Pandemiezeiten den Kontakt zu deinem Bettprinzen halten?
Es ist sehr schwierig. Als Familie haben wir uns insgesamt sehr zurückgezogen und fast alle Kontakte nach außen eingeschränkt. Mein Mann und ich arbeiten beide im Homeoffice und sind fast durchgehend zuhause. Mein Bettprinz und ich telefonieren, so dass unsere emotionale Nähe nicht abbricht. Aber das ist auch nicht immer einfach.
Bist du weiterhin auf der Suche nach neuen Abenteuern?
Nein. Es ist nicht der Reiz der fremden Haut, der mich antreibt. Ich bin der Typ für Beständigkeit. Auch hier habe ich seit längerer Zeit den gleichen Partner. Mit zunehmender Vertrautheit wird das Liebesleben einfach besser. Mit meinem Bettprinzen kann ich wunderbar alles ausleben, auf das ich oder er neugierig ist. Wir sind ein grandioses Team. Das ist Abenteuer genug.
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